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L XXXVI Anmerkungen zu Welche ’bekannten deutschen Märchen’ Hertz in den oben zitierten Worten meint, hat er leider nicht gesagt, ich vermute aber, dass er mit den Brüdern Grimm die Märchen von der wahren und der falschen Braut meint. In den Kinder- und Hausmärchen, Bd. 3, 3. Aufl., heisst es nämlich einmal S. 218 in der Anmerkung zu dem Märchen No. 135 ’Die schwarze und die weisse Braut’ : ’Bei der Marie de France ist das Lai von der Esche verwandt’, und dann werden S. 313 in der kurzen Besprechung der Lais der Marie einfach nebeneinander gestellt ’Lai von der Esche. Das Märchen von der wahren Braut (No. 135).’ Ich muss aber bekennen, dass mir die Geschichte Le Fraisnes grundverschieden zu sein scheint von dem an- geführten Grimm’schen und von den verwandten Märchen, in denen es sich darum handelt, dass an Stelle der wahren Braut eine falsche ohne Wissen des Bräutigams eine Zeit lang unter- geschoben wird. Dagegen findet eine unleugbare teilweise Uebereinstimmung statt zwischen unserem Lai und einer Volksballade, von der wir besonders viele dänische und schottische, aber auch einige schwedische, einen niederländischen und zwei deutsche Texte kennen, und welche Sv. Grundtvig, Danmarks gamle Folkeviser, V, 13 ff., No. 258 [und neuerdings F. J. Childe a. a. 0.] auf das eingehendste und gründlichste behandelt haben. Der Inhalt dieser Ballade ist im wesentlichen folgender : Schön Anna — so heisst die Heldin fast in allen schottischen, dänischen und schwedischen Texten — ist ihren Eitern geraubt worden. Ein vornehmer Jüngling kauft sie den Räubern ab, macht sie zu seiner Geliebten und zeugt mit ihr sieben Söhne. Dann aber beschliesst er sich ebenbürtig zu verheiraten und bringt eine junge Braut ins Haus, worüber natürlich Schön Anna sehr unglücklich ist. Bevor jedoch die Ehe vollzogen ist, entdeckt die Braut, dass Schön Anna ihre geraubte Schwester ist, und Wissenschaften und Künste, 1. Sektion, 91. Teil, Leipzig 1871, S. 421, Anm. 24, geschrieben habe. — Sv. Grundtvig, Danmarks gamle Folkeviser, V, 10 f., erklärt, mit mir darin ganz einig zu sein, dass der Lai nicht Boccaccios Quelle sein könne, er betrachtet aber den Lai und die Novelle als zwei verschiedene Entwickelungen eines und desselben Grundstoffes, was ich zwar nicht für undenkbar, aber auch nicht für besonders wahr- scheinlich halte.